„Gottesdienst for Future“ – Predigt der Klimaaktionstage

Ev. Pfarrer Klaus Weißgerber hat uns für alle Interessierten seine Predigt zum Klimawandel, die er im Rahmen der Klimaaktionstage am 21. Juni gehalten hat, zur Verfügung gestellt. Er sprach dabei von der Verantwortung des Menschen zur Bewahrung der Schöpfung und warum es gerade Christen leicht fallen kann, mit weniger auszukommen.

 

Ich lese einen Text des Theologen Jörg Zink:

„Die letzten sieben Tage der Schöpfung“.

Am Anfang schuf Gott Himmel und Erde.
Aber nach vielen Jahrmillionen war der Mensch endlich klug genug. Er sprach: Wer redet hier von Gott? Ich nehme meine Zukunft selbst in die Hand. Er nahm sie, und es begannen die letzten sieben Tage der Erde.

Am Morgen des ersten Tages beschloss der Mensch, frei zu sein und gut, schön und glücklich. Nicht mehr Ebenbild eines Gottes, sondern ein Mensch. Und weil er etwas glauben musste, glaubte er an die Freiheit und an das Glück, an Zahlen und Mengen, an die Börse und den Fortschritt, an die Planung und seine Sicherheit. Denn zu seiner Sicherheit hatte er den Grund zu seinen Füßen gefüllt mit Raketen und Atomsprengköpfen.

Am zweiten Tage starben die Fische in den Industrie­gewässern, die Vögel am Pulver aus der chemischen Fabrik, das den Raupen bestimmt war, die Feldhasen an den Bleiwolken von der Straße, die Schoßhunde an der schönen roten Farbe der Wurst, die Heringe am Öl auf dem Meer und an dem Müll auf dem Grunde des Ozeans. Denn der Müll war aktiv.

Am dritten Tage verdorrte das Gras auf den Feldern und das Laub an den Bäumen, das Moos an den Felsen und die Blumen in den Gärten. Denn der Mensch machte das Wetter selbst und verteilte den Regen nach genauem Plan. Es war nur ein kleiner Fehler in dem Rechner, der den Regen verteilte. Als sie den Fehler fanden, lagen die Lastkähne auf dem trockenen Grund des schönen Rheins.

Am vierten Tage gingen drei von vier Milliarden Menschen zugrunde. Die einen an den Krankheiten, die der Mensch gezüchtet hatte, denn einer hatte vergessen, die Behälter zu schließen, die für den nächsten Krieg bereitstanden. Und ihre Medikamente halfen nichts. Die hatten zu lange schon wirken müssen in Hautcremes und Schweinelendchen. Die anderen starben am Hunger, weil etliche von ihnen den Schlüssel zu den Getreidesilos versteckt hatten. Und sie fluchten Gott, der ihnen doch das Glück schuldig war. Er war doch der liebe Gott!

Am fünften Tage drückten die letzten Menschen den roten Knopf, denn sie fühlten sich bedroht. Feuer hüllte den Erdball ein, die Berge brannten, die Meere verdampften, und die Betonskelette in den Städten standen schwarz und rauchten. Und die Engel im Himmel sahen, wie der blaue Planet rot wurde, dann schmutzig braun und schließlich aschgrau. Und sie unterbrachen ihren Gesang für zehn Minuten.

Am sechsten Tage ging das Licht aus. Staub und Asche verhüllten die Sonne, den Mond und die Sterne. Und die letzte Küchenschabe, die in einem Raketenbunker überlebt hatte, ging zugrunde an der übermäßigen Wärme, die ihr gar nicht gut bekam.

Am siebten Tage war Ruhe. Endlich. Die Erde war wüst und leer, und es war finster über den Rissen und Spalten, die in der trockenen Erdrinde aufgesprungen waren. Und der Geist des Menschen irrlichterte als Totengespenst über dem Chaos. Tief unten in der Hölle aber erzählte man sich die spannende Geschichte von dem Menschen, der seine Zukunft in die Hand nahm, und das Gelächter dröhnte hinauf bis zu den Chören der Engel.

 

Predigt

Liebe Gemeinde,

ich weiß nicht, wie es Euch damit gegangen ist – aber wenn ich den düsteren Text von Jörg Zink über den Untergang der Erde lese oder höre, wird mir ganz anders vor Bedrückung. Es ist ein alter Text, und dennoch immer noch so aktuell. Jörg Zink schrieb ihn im Jahr 1970 ursprünglich für eine Anti-Atom-Demonstration in Stuttgart. Gedruckt wurde er ein Jahr später. Die Hilfsaktion „Brot für die Welt“ verwendete ihn 1973 auf einem Plakat für eine Aktion „Einfacher leben – einfacher überleben – Leben entdecken“.

Wir wissen ja nicht erst seit dem Auftritt von Greta, dass etwas nicht stimmt mit unserer rücksichtslosen Lebensweise. Der Club of Rome wurde 1968 gegründet und versorgt uns seit 1972 regel­mäßig mit Informationen darüber, wohin es führt, wenn wir mit unserer Erde immer so weiter umgehen, wie wir es tun.

Es liegt nicht daran, dass wir nicht Bescheid wüssten über die Problemlagen: Überfischung der Meere, Raubbau an Boden­schätzen, Vernichtung von Ackerland, Verschmutzung der Gewässer, industrielle Tierhaltung (und da ist Tönnies nur ein Beispiel), zigtausend Jahre strahlender Atommüll, drohende Klimakatastrophe – ich will das gar nicht alles aufzählen. Die meisten Menschen zeigen sich gut informiert und geben bei Umfragen an, dass sie gerne auch etwas dafür tun wollen, damit es besser wird: Energie sparen, biologisch erzeugte Lebensmittel essen, weniger oder gar kein Fleisch, öfter auf das Auto verzichten, Müll vermeiden usw.

Aber es ändert sich im Grunde überhaupt nichts. Weil wir nicht tun, was wir für richtig halten. Alle Appelle an Verhaltensänderung in den letzten 30 – 40 Jahre haben kaum etwas gebracht. Der gute Vorsatz wird fast nie in die Tat umgesetzt.

Wir sind doch nicht blöd! Warum soll ich mit dem Fahrrad fahren, wenn meine Nachbarn drei Mal im Jahr mit dem Flieger in den Urlaub rauschen? Wieso soll ich denn das sündhaft teure Bio-Fleisch kaufen, wenn es beim Discounter den Schweinebraten
für 5,99 gibt? Und was macht es schon, ob ich kleines Rad im großen Getriebe nun diese eine Plastiktüte benutze oder nicht?

Dabei hätten gerade wir Christ*innen allen Grund, unser Verhalten zu ändern – denn es ist uns gesagt, was gut ist. Wir glauben, dass die Welt eine Schöpfung Gottes ist, die er uns geschenkt hat wie unser Leben. Und er hat uns Aufträge dazu erteilt:

Und Gott schuf den Menschen zu seinem Bilde, zum Bilde Gottes schuf er ihn; und schuf sie als Mann und Frau. Und Gott segnete sie und sprach zu ihnen: Seid fruchtbar und mehret euch und füllet die Erde und machet sie euch untertan und herrschet über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über alles Getier, das auf Erden kriecht. (Gen 1, 27f)

Das Herrschen über die Natur ist leider lange Zeit als Freibrief verstanden worden, dass man die Erde benutzen könne, wie es uns Menschen gerade nutzt. Das war auch erst mal kein Problem – bei einer überschaubaren Anzahl an Menschen auf der Erde schienen die Kapazitäten des Planeten unerschöpflich.

Und Gott der HERR nahm den Menschen und setzte ihn in den Garten Eden, dass er ihn bebaute und bewahrte. (Gen 2, 15)

Ein Umdenken fing erst an, als erste Grenzen deutlich sichtbar wurden. Da kam auch das „bewahren“ in den Blick. Im 19. Jahr­hundert begannen die ersten auszurechnen, wie viele Menschen die Erde wohl maximal ernähren könnte. Und sie warnten vor einer Übervölkerung der Erde. Dabei gab es damals erst knapp 1,5 Mrd. Menschen. Jetzt sind es gut fünfmal so viele.

Heute sind wir so weit, dass ernsthaft zu befürchten ist, dass wir das gesamte Ökosystem der Erde zerstören könnten, wenn wir so weitermachen wie bisher. Klimaschutzziele werden formuliert und verabredet, um diese Entwicklung zu stoppen.

Begrenzung ist das Stichwort. Und das steht im absoluten Gegensatz zum Begriff Wachstum, der unser gesamtes Wirtschaftsleben magisch beherrscht.

Was treibt uns nur zu diesem Denken, des „Immer –mehr“, des „Immer-größer“, des „Immer-weiter“? Wir sind von Natur aus grenzenlos. Und wenn wir denken, dass wir selbst uns unseren Wert erarbeiten müssen, dass jeder „seines Glückes Schmied“ ist – dann entsteht daraus ein rücksichtsloser Wettbewerb um die besten Plätze. Wer nicht in der Masse von 8 Milliarden Menschen untergehen will muss sich selbst so inszenieren, dass er auffällt. Und das geht nicht mit Demut und Bescheidenheit zusammen.

Schauen wir doch noch mal in die Bibel! Da gibt es viele Beispiele, die uns zeigen, dass gerade in der Selbst-Begrenzung der Schlüssel zu einem Leben nach dem Willen Gottes liegt.

So muss das Volk Israel in der Wüste lernen, dass es keinen Sinn macht, das Manna in Unmengen zu sammeln. Vorratshaltung ist sinnlos – am nächsten Morgen ist alles verdorben.

Der reiche Kornbauer im Lukasevangelium ist schlecht beraten, als er immer größere Scheunen baut und meint, sich damit Ruhe verschafft zu haben. Er verliert sein Leben, das er so wasserdicht absichern wollte. So geht es dem, der sich Schätze sammelt und ist nicht reich bei Gott, resümiert Jesus.

Trachtet zuerst nach dem Reich Gottes und nach seiner Gerech­tigkeit …. sorgt nicht für morgen, denn der morgige Tag wird für das Seine sorgen – so predigt Jesus seinen Anhängern. Es macht keinen Sinn, sich selbst zum Herren über die Schöpfung erheben zu wollen. Alles im Griff haben zu wollen. Erst mal ich – wenn jeder an sich selbst denkt, dann ist doch an alle gedacht.
Nein – so gerade nicht.

Zur Freiheit hat uns Christus befreit – schreibt Paulus im Brief an die Galater. Was bedeutet diese Freiheit des Christenmenschen?

„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemand untertan. Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“ – so erklärt es Martin Luther.

Er will damit sagen: Ein Christ hat keine Angst vor niemand, weil er sich als von Gott bejaht und befreit weiß. Andererseits ist er sei­nem Nächsten in Achtsamkeit und Liebe zugewandt – und wird deshalb immer das Wohlergehen des anderen Menschen als Maßstab für sein eigenes Leben sehen.

Als Christen sind wir frei von jedem Zwang zur Selbst-Inszenie­rung. Wir wissen, dass wir uns nicht selbst verwirklichen müssen, nicht unseren eigenen Wert uns schaffen müssen. Wir sind Gottes geliebte Geschöpfe, die er so annimmt, wie wir nun mal sind.

Und so kann es uns leicht fallen, uns selbst zu begrenzen und mit weniger auszukommen. Es muss nicht alles immer mehr werden. Genug ist genug. Wichtiger ist der Einsatz für Gerechtigkeit, für Frieden und die Bewahrung der Schöpfung.
Ehrfurcht und Demut gegenüber dem Leben und der Welt – dazu sind wir alle aufgerufen. Und wenn wir danach handeln, so ist das nicht blöd, sondern es hieße wirklich „die Schöpfung feiern“!

Jedem einzelnen und jeder einzelnen von uns kann da viel zuge­traut werden. Der Transformationsprozess, wie wir ihn heute dringend brauchen, geht von uns, geht von der Basis aus.
Da wird Widerstand mobilisiert gegen die bestehenden Entwicklun­gen und da werden Orte des Ausprobierens geschaffen – so wie gestern und am Freitag auch hier in Gießen: Für autoarme und lebenswerte Städte, für die Energiewende, für eine ressourcen­arme und kreislaufgerechte Wirtschaftsform.

Vielleicht lasst Ihr euch ja heute Morgen noch etwas einfallen, wie Euer persönlicher Beitrag zur Feier der Schöpfung aussehen kann. Nicht nur heute hier im Gottesdienst, sondern auch an den anderen Tagen, morgen, übermorgen, nächste Woche.
Behaltet einen langen Atem! Betet und handelt für den Erhalt dieser Welt, es wird sich lohnen – mit Gottes Hilfe.

AMEN.

 

Fürbittengebet

 

Guter Gott,

du bist in der Weite des Alls gegenwärtig
und auch im kleinsten deiner Geschöpfe.
Du umschließt alles, was existiert, mit deiner Zärtlichkeit.

Gieße in uns die Kraft deiner Liebe,
damit wir das Leben und die Schönheit hüten.

Überflute uns mit Frieden,
damit wir als Brüder und Schwestern leben
und niemandem schaden.

Du Gott der Armen,
hilf uns, die Verlassenen und Vergessenen dieser Erde,
nicht aus den Augen zu verlieren.
Heile unser Leben,
damit wir Beschützer der Welt sind und nicht Räuber,
damit wir Schönheit säen und nicht Verseuchung und Zerstörung.
Rühre die Herzen derer an, die nur Gewinn suchen
auf Kosten der Armen und der Erde, und lass sie umkehren.

Lehre uns, den Wert von allen Dingen zu entdecken
und voll Bewunderung zu betrachten;
hilf uns zu erkennen, dass wir zutiefst verbunden sind
mit allen Geschöpfen auf unserem Weg durchs Leben.

Danke, dass du alle Tage bei uns bist.

Ermutige uns in unserem Kampf
für Gerechtigkeit, Liebe und Frieden.

AMEN.